05. 03. 2014   ...Zum Glück bekommt sie es beim Einsteigen in den Helikopter von einem Sicherheitsbeamten zurück. Am Heli angekommen tragen wir unsere Namen, Passnummern und Gewicht in eine Liste ein. Viel Zeit zum Nachdenken oder gar Gedanken machen bleibt uns nicht. Eingestiegen, und schon sind wir in der Luft.

Niru sitzt mit Marie neben dem Pilot, hat die zweiten Kopfhörer auf und zeigt ihm, wo er langzufliegen hat. Nepal hat so viele gleichaussehende Täler, dass es schwer ist, sich in diesen zurechtzufinden. Nach einem sehr ruhigen schnellen Flug von 45 Minuten und ca. 120-140 Meilen pro Std. (195-225 km pro Std.) durch die grünen Täler und über die verschneiten Bergrücken Nepals entlang der links gut zu sehenden hohen weißen Sechs- , Sieben- und Achttausender der Hochgebirge Ganesh, Langtang, Jugal, Rolwaling, Gaurishankar und Everest erreichen wir unser Heimatdorf Basa, südlich von Lukla im Solukhumbu Gebiet am Everest Gletscherfluss Dudh Koshi, gelegen.

Wir landen nach einigen Sichtrunden auf einem grünen Terrassenfeld, der Pilot muss viel Erfahrung haben beim Abschätzen der Entfernungen und des benötigten Platzes für die Rotoren. Der Berghang, an dem Basa liegt, ist recht steil, sodass die Terrassenfelder entsprechend schmal sind und keine guten Landeplätze für Hubschrauber bieten. Schließlich sind wir gelandet, die Rotoren arbeiten im Leerlauf, wir und unser Gepäck werden ausgeladen und verlassen den Gefahrenbereich. Sofort startet der Helikopter, zieht steil hoch in den Himmel und verschwindet im Dunst der Berge. Wir werden von einigen Dorfleuten begrüßt und laufen in Gänsereihe zehn Minuten über einige frisch gepflügte aber noch unbestellte Felder zum Grundstück und Haus von Niru, das von seiner älteren Schwester Runchi (Ranma) bewohnt und bewirtschaftet wird.

Dort bekommen wir den ersten Begrüßungs-Chyang, von mir sehr geschätzt, von Marie mit Argwohn hinuntergewürgt. Das soll sich aber in den nächsten Tagen ändern, zumindest beim höherprozentigen Rakshi. Das Wetter ist warm und sonnig, auch an den nächsten Tagen der Hochzeit. Wir beziehen unser Domizil, ein großes grünes Nylon-Steilwandzelt, das normal von den Begleitmannschaften während der Treks genutzt wird.

Mein Freund Sanga Rai, der Seniorchef unserer Agentur, leitet zur Zeit den Bau eines Wasserprojektes, gesponsert von Touristen aus den USA. Eine immersprudelnde reiche Wasserquelle in einer Berghöhle wurde angezapft, an den steilen Berghängen viele Gräben nach unten ausgehoben, Leitungen verlegt, ein 10.000 Liter und einige 4.000 Liter Tanks aus Stahlbeton gebaut. Von diesen wird das Wasser auf fast alle Grundstücke verteilt und läuft, wenn alles fertig ist, klar und kalt aus den Wasserhähnen der Wasser- und Waschstellen vor den Hütten.

Vor zwei Jahren wurde mit Spenden unserer Agentur und mit Hilfe ausländischer Sponsoren ein kleines funktionstüchtiges
5-KW-Wasserkraftwerk errichtet, das die Hütten ganztägig mit Strom für Sparlampen und für Ladegeräte und wenige Mobiltelefone speist. Es gibt nämlich manchmal Mobilfunkempfang über ein Spezialnetz, meist muss man dazu aber etwas höher im Dorf aufsteigen.

5 % der Einnahmen unserer Agentur gehen an die Grundschule in Basa, diese und auch die höhere Schule im Nachbardorf Sombare werden teilweise noch von Deutschen und US-Bürgern gesponsert. Ebenso unterstützt unsere Agentur mit Geldspenden den Health Post, die große Krankenstation in Sombare, in der es zwar keinen Arzt, aber mehrere ausgebildete Krankenpfleger gibt, die Krankheiten behandeln und Patienten verarzten können.

Auch ein Baumaufforstungs-Projekt gibt es, von französischen Touristen gesponsert. Die noch kleinen Bäumchen sind schnellwachsende Kiefern aus den USA und wurden von den Dorfbewohnern zu Tausenden an den umliegenden Hängen gepflanzt und mit Wasser versorgt.

Anschließend besuchen wir mit Niru und Sanga meinen alten Freund Phadindra Rai (48) und seine hübsche Frau Kamal Devi (40) in ihrer schön rot angestrichenen Hütte, Marie lernt sie wie alle meine nepalesischen Freunde und Bekannte erstmals kennen, kaum kann sie sich täglich all die vielen Namen und die freundlichen Gesichter dazu merken. Die vier Töchter Nirmala (17, seit 1 Jahr verheiratet in einem anderen Dorf), Kabita (15), Rupa (12) und Himani (10) sind nicht anwesend, die drei Jüngsten sind in der Schule. Kamal Devi bewirtet uns mit dem selbstgebrauten nepalesischen Chyang, einem leicht nach Essig schmeckenden Bier mit gerösteten Hirsekörnern in den großen flachen Messingschalen, wie immer randvoll und beim kleinsten Schlückchen sofort nachgefüllt. Ich genieße den guten Geschmack, Marie quält ihn sich eher rein. Zum Essen bekommen wir getrockneten geräucherten und angebratenen Wasserbüffel, dazu Dhal Bhat mit Currygemüse.

Von Phadindra lerne ich auch die Rai-Begriffe für die meist vielen Kinder einer Familie. Bei den Jungen sind das vom Erstgeborenen angefangen: 1.Babu, 2. Maahila, 3. Saahila, 4. Kaanchha, 5. Kaahila, 6. Antare, 7. Jantare, 8. Mantare ... Bei den Mädchen: 1. Naani, 2. Maahili, 3. Saahili, 4. Kaanchhi, 5. Kaahili, 6. Antari, 7. Jantari, 8. Mantari ... Phadindra wird von seinen Verwandten meist Kaanchha, also Viertgeborener gerufen, Kamal Devi ist Maahili, die Zweitgeborene.

Niru Rai erzählt mir von seinen Vorfahren, die vor langer Zeit wahrscheinlich aus Japan nach Nepal eingewandert sind. Nirus Ahnherr und Urgroßvater hieß Karshang, der Großvater Puwa Teet, dann gab es noch einen Durg Tee und einen Khadga, dieser wahrscheinlich ein Onkel von Niru. Niru hatte einige Brüder, die aber alle bereits verstorben sind. Dafür lerne ich seine vielen Schwestern kennen. Shanti Kala Rai ist die Frau von Ganesh, beide wohnen mit Ihrer kleinen Tochter in der Nähe von Nirus Haus in Dhapasi. Kumari Rai ist mit einem Chettri-Mann verheiratet, lebt in Bardia. In Basa leben weitere Schwestern von Niru. Alle sind ihm meist in Aussehen und Gebaren sehr ähnlich.

In der Zwischenzeit errichten viele fleißige Helfer auf der nächsthöheren Terrasse die Schlafzelte, zwei temporäre Toiletten mit Loch und Abdeckung aus Schieferplatten mit Bambus-Sichtschutz. Auf die nächste Terrasse kommen zwei Küchen, mehrere überdachte Feuerstellen aus je drei großen Feldsteinen, dazu genügend Feuerholz, die Wasser- und Aufwaschstelle und große Zelte aus Plastikplanen mit Tischen und Stühlen für die Feiern der nächsten Tage. Als Material für die Gerüste dient Bambus, die Verbindungsstellen werden mit grünen eingeweichten Bambusstreifen fest fixiert.

Wir lernen die fröhliche Gerda aus Berlin kennen, 19 Jahre jung, begehrt bei den jungen und den alten Männern des Dorfes. Sie wohnt seit November hier in Basa, wo sie an der Schule Englisch lehrt.

Die allgegenwärtige Musikkapelle des Dorfes besteht aus den Mitgliedern eines anderen Stammes bzw. einer niedrigeren Kaste, den Damai. Aber sie beherrschen ihr Handwerk, spielen mehrstimmig auf lauten schalmeiartigen Flöten, kleinen Trompeten, diversen Trommeln und Zimbeln. Dazu singen und tanzen sie. Sie werden immer gut mit Essen und Rakshi versorgt.

Das schwarzborstige gut gemästete Hausschwein hat heute leider seinen letzten Tag. Mit ihm wird eine Zeremonie mit Priester, Weihrauch und Opfergaben durchgeführt. Doch es weiß nun genau, was folgt und schreit laut wie am Spieß. Es wird an den Beinen gefesselt, ein dicker langer angespitzter Pfahl wird ihm ins Maul bis weit in den Körper getrieben und sofort der Hals mit einem scharfen gebogenen Khukri-Messer aufgeschlitzt. Noch während der Kopf schon fast ab ist, schreit das arme Vieh röchelnd und gurgelnd weiter, schließlich ist der Kopf ab, das Tier ist verstummt. Es wird sofort das Fell abgebrannt, der Torso am Brunnen gereinigt und abgeschabt. Dann wird es ausgenommen und erst einmal in grobe Stücke geschnitten, die Frauen und Mädchen reinigen die Därme. Für die dürren Hunde gibt es die nächsten Tage reichlich zu fressen. Dann wandern auch schon die ersten fetten Brocken in den Kochtopf. Lange dünngeschnittene eingesalzene Streifen werden in der Hütte und der Küche über den Feuerstellen und an der Decke zum Trocknen aufgehängt. Abends um halb 10 gibt es Essen, wir würgen etwas knerzlig-fettes zähes Schweinefleisch mühsam hinunter. Die schrillen Sterbeschreie werde ich wohl nie vergessen können und mein Appetit dafür ist für die nächsten Tage voll gestillt.

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