14.02.2010 ... der gesamten männlichen Dorfbevölkerung mit staatlichen Beamten stattfindet, fällt der Besuch des Dorfes für uns aus. Die Lebensmittel für unser heutiges Abendmenü, für das morgige Frühstück und Mittagessen werden von einem jungen Burschen mit einem Moped in das Akha-Dorf hochgebracht.

Unser Treck startet 5 km danach an der autofreien breiten Straße Richtung Thailand in ca. 700 m Höhe, das Akha-Dorf liegt auf 1200 m Höhe. Ich habe das erste und einzige Mal meine leichten Wanderschuhe an wegen der giftigen Tierchen, die hier angeblich herumkriechen sollen. Noy schnitzt uns vorzügliche Wanderstöcke, die wir auch benutzen und sei es gegen das Ungetier der Wildnis. Ein schwer auszumachender Pfad führt über einen zugewucherten Flussgraben bergauf in den dichten Dschungel. Wir schlängeln uns unter dem dicken grünen Blätterdach vieler wilder Bananenpflanzen und anderer Gewächse durch. Ab und zu entfernt Noy mit seinem Haumesser Äste, stachelige oder mit stabilen Spitzen versehene Dornen, die in den Weg ragen. Er erläutert uns einige Heilpflanzen des Dschungels. Als erstes köpft er mit seinem scharfen bauchigen Hmong-Messer den Stamm einer each plant, schneidet uns ein Stück heraus. Dabei geht er mit seinem großen Messer sehr geschickt um. Er erklärt uns, dass man diese Teile der Pflanze kochen und als Heilmittel gegen die Malaria einnehmen kann. Roh ist die Pflanze hochgiftig. Eine kleine Art des Flussfarns ist essbar, wir müssen kosten. Man muss dabei eine bestimmte Blattform beachten. Als ich mir einen ähnlichen Farnwedel in den Mund schieben will, warnt er mich, die meisten der Pflanzenarten sind giftig oder ungenießbar, manche stark ätzend. Die roten Bananenblüten, auch die wilden, werden gekocht und mit Fleisch oder Fisch gegessen. Noy fällt einen Bananenstamm, schlitzt ihn auf und holt das etwa drei Zentimeter dicke Mark heraus. Man kann es gekocht essen. Noy imitiert einige Vogelstimmen. Ab und zu sehen wir mal einen Vogel in den dichten Zweigen. Noy hat allerdings viel schärfere Augen als ich, oft spähe ich vergeblich nach von ihm beobachteten Vögeln.

Wir machen Pause an einem riesigen Ficusbaum von 2 m Stammdurchmesser, der von den Einheimischen als heilig verehrt wird. Auch soll er Glück bringen. Wenn man sich verirrt hat, soll man an einem dieser Bäume übernachten. Am nächsten Tag findet man seinen Weg wieder. Weiter geht es den zugewachsenen Pfad steil hinauf, bis wir zu einem breiteren Weg auf einem Kamm kommen, der alte Verbindungsweg zu unserem Akha-Dorf. Hier wachsen meterhohe Farne, krautige Buschpflanzen und lianenumrankte Bäume, Gras wie bei uns gibt es nicht, ergo auch keine grüne Wiese. Der Weg ist trocken, das Laub raschelt dick unter unseren Tritten. Da es keinen Schnee und Frost in Laos gibt, fällt auch das Laub nicht so zusammen, sondern bleibt nach dem Abfallen länger liegen, ehe es zerfällt. Den feuchtschwülen Bananendschungel haben wir hinter uns gelassen. Auf dem Weg entdeckt Noy Tierspuren, ein Büschel Haare des wild boar, eines Wildschweins. Kurz danach ein spitzes schwarzes vertrocknetes Kackwürstchen von einem jungen Leoparden, allerdings schon eine Woche alt.

An einem kleinen palmengedeckten überdachten Rastplatz machen wir Mittagspause. Noy deckt den Tisch mit Bananenblättern und legt die mitgetragenen Leckereien aus dem Morgenmarkt darauf. Gebratene Wasserbüffelstückchen mit Ingwer gewürzt, gedünstes Gemüse, Kartoffeln, Möhren, Blumenkohl, eine Spinatart, scharfe Chillischoten, ein gut gewürztes Tomaten-Chutney zum Eintunken, dazu in Blätter gewickelter sticky rice, Klebreis. Wir spülen unsere Hände kurz mit der Wasserflasche ab, dann essen wir die Speisen traditionell mit der rechten Hand. Es schmeckt allen vorzüglich. Die Reste werden zusammengerafft und einfach in den Dschungel geworfen, in ein paar Stunden ist alles restlos verputzt. Weiter geht es auf dem guten Weg über mehrere große Hügel, über Bergkämme und an steilen Hängen entlang allmählich höher hinauf.

Auf einmal bleibt Noy stehen, zeigt uns auf dem gegenüber liegenden Hügel die fernen winzigen Häuser unseres Zieles. Mietzi zeigt dahin und meint lautstark auf sächsich „Or gugge ma“. Noy glaubt, dass wir in unserer Sprache das Dorf so bezeichnen. Ich kläre ihn auf. Von da an wird zu allem Neuen „Or gugge ma“ gesagt. Am besten können es unsere laotischen Führer aussprechen. Wir haben unseren Spaß. Noy will es sich für die nächsten deutschen Touristen merken. Bei einem tiger balm tree müssen wir an den Ästen riechen, es riecht wie das frühere Schlangengift oder das ätherische Öl des asiatischen Tiger Balm in den roten Döschen und ist ebenso zum Einreiben geeignet. Noy zerschneidet eine am Boden liegende, einer Kartoffel ähnelnde schwarzbraun gesprenkelte Frucht, die Schnittfläche sieht orange aus, damit werden Baumwollstoffe gefärbt. In Notzeiten wurde diese Frucht zerkleinert gekocht, das Wasser mehrmals gewechselt, dann konnte man sie essen. Von einer bestimmten Pflanze schneidet er einen Ast ab, spaltet ihn, wir sollen riechen. Es riecht wie saure Gurken. Dieses Gewächs soll die Manneskraft steigern, selbstgebrannter Lao Lao wird damit fermentiert. Die Frauen des Akha-Dorfes mischen Tabak mit den Rinden zweier verschiedener Bäume und einer bestimmten Pflanze und kauen dieses Gemisch, eine Art Betel. Wir sehen später im Dorf viele Frauen mit den angetrockneten blutroten Spuren davon am Mund.

Die hinter mir laufende Mietzi meldet sich mit dem Ruf “eine Schlange“. Ich drehe mich um, zwischen unseren Beinen schlängelt sich eine 25 cm lange glänzendgrüne giftige Mamba hindurch und verschwindet gelassen im Dickicht. Dazu meint Noy, diese Schlange bringe uns Glück. Auf meine Frage, warum, antwortet er gelassen, weil sie keinen von uns gebissen hat. Na toll. Nach dem Durchqueren einiger kleiner Seitentäler erreichen wir 15 Uhr 30 endlich unser Ziel, der Dorfanfang liegt vor uns. Noch einmal schärft uns Noy die Verhaltensregeln ein, nennt uns den Gruß der Akha, sie sagen für Guten Tag nicht laotisch Sabai Dee, sondern Jo Mo Ma, für danke Jo Mo Ma De.

Ban Phou Varn ist ein Akha-Dorf. Die Bewohner sind im 18. Jahrhundert aus Südchina eingewandert. Es wurde erst im Jahr 2000 entdeckt. Am Anfang rannten die Bewohner sogar vor den Laoten schreiend davon. 2003 gab es erste Versuche, das Dorf in die staatliche Ordnung zu integrieren. Sie haben ihre alten Gesetze, Sitten und Gebräuche bewahrt. Ihr Auftreten ist stolz und aufrecht, wir werden teilweise trotz einstudiertem Gruß meist einfach ignoriert. Früher wurden neugeborene Zwillinge als Unglücksboten getötet, die laotische Regierung hat aber erreicht, das die jetzt geborenen Zwillingsbabys zur Adoption freigegeben werden. Im Dorf stehen 58 auf Stelzen stehende Holzhäuser meist aus Bambus mit Kokosdach, darin leben 96 Familien, insgesamt 476 Menschen. Es wurde eine Schule errichtet und eine Straße gebaut. Und es werden ab und zu wenige Touristen von geschulten Führern zu diesem Dorf gebracht.

Wir befinden uns am oberen Ende des Dorfes, hier steht eine große Bambusschaukel, die wir nicht berühren dürfen. Auch ist es für uns tabu, durch Eingangstore zu laufen oder diese zu berühren, weil sie geweiht sind und die Geister vom Dorf fern halten. Dasselbe gilt für die Wohnhäuser und Grundstücke, die man grundsätzlich nicht betreten darf und damit entweihen würde. Beim Fotografieren soll man die Erwachsenen immer vorher fragen. Obwohl die meisten Akha-Frauen mit nackter Brust herumlaufen, sollen fremde Frauen sich nur mit einem Sarong bedeckt an der öffentlichen Badestelle waschen. Tradition ist, dass sich drei Monate lang im Jahr in der Trockenzeit nach Sonnenuntergang die jugendlichen 14- bis 18-Jährigen am Versammlungsplatz mit der Lagerfeuerstelle treffen, um hier ihre Ehepläne mit potentiellen Partnern zu schmieden. Ein Vater ist traditionell verpflichtet, für jeden seiner Söhne ein kleines Stelzenhäuschen mit einer Hühnerleiter zu bauen. Darin probieren die heranwachsenden Söhne mit ihren Partnerinnen die Liebe aus. Wenn die Partnerin schwanger geworden ist, wird geheiratet, nicht eher. Wenn sie nicht schwanger wird, wird eine neue Gefährtin gesucht. Es ist auch möglich, mehrere Frauen zu heiraten, wenn einem Mann nur Töchter geboren werden.

Im Dorf sind zur Zeit nur Frauen, kleinere Kinder und alte Männer zu sehen. Die Ehemänner und die größeren Kinder und Jugendlichen arbeiten auf den weithin umliegenden Feldern und kehren erst zur Dämmerung in ihr Dorf zurück. Zwischen den Grundstücken laufen die Haustiere auf dem glatten roten Lehmboden frei umher, Wasserbüffel, Schweine, Hühner, Hunde. Alle vertragen sich. Es liegen keine Abfälle herum, der Boden sieht aus wie geleckt. Das Dorf bekommt von der laotischen Regierung Unterstützung, viele Hütten haben ein kleines Solarpaneel mit Akku, der in der Dunkelheit einer Neonlampe Strom zuführt. Eine Toilette gibt es nur für die Schule und für uns Touristen. Unsere Bambushütte steht gleich neben der Schule. Hier haben wir eine lange erhöhte Liegefläche zum Schlafen mit Matratzen, Zudecken, Kopfkissen und Moskitonetzen, einen großen Esstisch und Sitzbänke. In einer Ecke brennt ein Lagerfeuer, auf dem unser fleißiger Noy das aufwändige mehrgängige Abendessen zubereitet. Er hackt und schneidet, schält, rührt und kostet. Unser zweiter Führer Da schaut ihm dabei zu und lässt sich bedienen.

Nach dem Essen überreichen wir dem Dorfältesten einige Kinderkleidungsstücke und Spielsachen, die er an die ärmsten Familien austeilen soll, unser Führer Da übersetzt meine Worte ins Laotische und wir verewigen uns in einem Gästebuch. Unsere Hütte quillt jetzt bald über von Mädchen und Jungen im Teenageralter. Wir müssen uns auf den Bauch legen und bekommen eine traditionelle Akha-Massage verpasst. 13-16-jährige aufgeputzte ledige Mädchen massieren unseren Körper mit ihren kleinen harten arbeitsgewohnten Händen. Sie sind es gewohnt, da sie zu Hause ihre Eltern und größeren Geschwister massieren, wenn sie abends verspannt und abgearbeitet vom Feld kommen. Die jungen heiratswilligen Burschen des Dorfes umschwänzeln und necken sie dabei. Die Mädchen werden dabei teilweise ganz schön bedrängt. Später pilgern sie gemeinsam ans andere Dorfende zum Versammlungsplatz und noch etwas später pärchenweise in die kleinen Liebeslauben.

 



Zurück